Gesetz­ge­ber beschleu­nigt den Trassenbau

von: Olaf Lüt­tich (bi-leinburg@stromautobahn.de)

Zita­te aus sei­ner Antritts­re­de als Wirt­schafts­mi­nis­ter im Deut­schen Bun­des­tag am 22. März 2018:

Ich ver­spre­che Ihnen: Wenn ich ein hal­bes Jahr im Amt bin, wer­de ich jede pro­ble­ma­ti­sche Lei­tung per­sön­lich ken­nen und besucht haben.“

Die Ener­gie­wen­de wird dann gelin­gen, wenn der Lei­tungs­aus­bau vor­an­kommt, und des­halb möch­te ich ihn beschleunigen.“

Sein Ver­spre­chen hält er nicht. Trotz zahl­rei­cher Ein­la­dun­gen besucht er bis zum Jah­res­en­de kei­ne ein­zi­ge Grup­pe von Trassengegnern.

Laut Bun­des­netz­agen­tur sind von den nöti­gen 7.700 Kilo­me­tern der gro­ßen Strom­au­to­bah­nen der­zeit nur 1.750 Kilo­me­ter geneh­migt – und nur gan­ze 950 Kilo­me­ter rea­li­siert. Zur Beschleu­ni­gung des Lei­tungs­baus ver­kün­det der Minis­ter beim Besuch der Bun­des­netz­agen­tur in Bonn am 14. August 2018:

Mit dem ‚Akti­ons­plan Strom­netz‘ für eine siche­re und bezahl­ba­re Energiewende.“

Für eine erfolg­rei­che Ener­gie­wen­de brau­chen wir moder­ne und gut aus­ge­bau­te Net­ze genau­so wie den Aus­bau erneu­er­ba­rer Ener­gien. Die Strom­net­ze sind dabei das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem unse­rer Stromversorgung.“

Nur mit ent­spre­chen­der Infra­struk­tur ist der Koh­le­aus­stieg machbar.“

Mit die­sem ‚Akti­ons­plan Strom­netz‘ ist eine Dop­pel­stra­te­gie für das Über­tra­gungs­netz vorgesehen:

Stra­te­gie Teil 1 – Opti­mie­rung der Bestandstrassen

Das wird von den Tras­sen­geg­nern schon seit lan­gem gefor­dert. Es gibt zahl­rei­che, bis­her nicht genutz­te, tech­ni­sche Mög­lich­kei­ten für die bereits bestehen­den Über­tra­gungs­net­ze ein höhe­res Strom­trans­port­vo­lu­men zu errei­chen. Mit Lei­ter­seil­mo­ni­to­ring, Hoch­tem­pe­ra­tur­be­sei­lung, digi­ta­ler Steue­rung, Ein­satz von Anti-Redis­patch-Soft­ware etc. las­sen sich Tras­sen­neu­bau­ten und Hoch­rüs­tun­gen vermeiden.

Stra­te­gie Teil 2 – Netz­aus­bau beschleunigen

Mit die­sem Punkt möch­te der Minis­ter „den Schal­ter umle­gen“ und Pla­nung und Bau der Vor­ha­ben durch Anpas­sung der bestehen­den Ener­gie­ge­set­ze und Ver­ord­nun­gen beschleu­ni­gen. Bereits die letz­ten Novel­lie­run­gen die­ser Geset­ze haben den Aus­bau der Erneu­er­ba­ren Ener­gien stark aus­ge­bremst. Jetzt wird es rich­tig pro­ble­ma­tisch, denn die­se Ände­run­gen zu Guns­ten der Über­tra­gungs­netz­be­trei­ber wer­den die Ener­gie­wen­de auf unab­seh­ba­re Zeit in die Zukunft verschieben.

Die Lis­te der zu ändern­den Geset­ze ist lang: Im Wesent­li­chen geht es um das Ener­gie­wirt­schafts­ge­setz (EnWG), das Erneu­er­ba­re-Ener­gien-Gesetz (EEG), das Netz­aus­bau­be­schleu­ni­gungs­ge­setz (NABEG) und das Ener­gie­sam­mel­ge­setz (EnSaG). Aber auch wei­te­re 25 Geset­ze und Ver­ord­nun­gen sind betroffen.

Hier wird auch die Ein­fluss­nah­me der gro­ßen Strom­kon­zer­ne und Über­tra­gungs­netz­be­trei­ber deut­lich. Es ist kaum vor­stell­bar, dass ein Groß­teil der Abge­ord­ne­ten noch ver­steht, über was sie da in sehr kur­zer Zeit ent­schei­den müs­sen. Bekannt sind Schrift­stü­cke von Über­tra­gungs­netz­be­trei­bern, deren Wort­laut spä­ter in den Geset­zen (z. B. NABEG) zu fin­den war.

Die jetzt im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren ste­hen­den Ände­run­gen sind viel­fäl­tig und auch gra­vie­rend, wie zum Beispiel:

  • Die Bun­des­netz­agen­tur als Regu­lie­rungs­be­hör­de wird zu einem fort­lau­fen­den Moni­to­ring ver­pflich­tet. Vor­ge­ge­ben ist ein neu­es Berichts­we­sen der Über­tra­gungs­netz­be­trei­ber an die Behör­de. Damit soll der Pla­nungs- und Bau­fort­schritt über­wacht wer­den. Bei Ver­zö­ge­run­gen kön­nen Stra­fen aus­ge­spro­chen wer­den. Müs­sen die­se dann vom Strom­kun­den über das Netz­ent­gelt bezahlt werden?
  • Eine Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fung kann bei Auf­rüs­tun­gen ent­fal­len. Die­se Rege­lung stößt auf Unver­ständ­nis. Bestehen­de Tras­sen sind heu­te zum gro­ßen Teil über 50 Jah­re alt. Zum dama­li­gen Zeit­punkt war das Wort „Umwelt“ noch unbe­kannt. Die Hoch­rüs­tung auf Höchst­span­nun­gen mit rie­si­gen Mas­ten hat sehr wohl Ein­fluss auf die Umwelt.
  • Ent­eig­nungs- und Ent­schä­di­gungs­ver­fah­ren wer­den beschleu­nigt. Es gibt kaum noch recht­li­che Mög­lich­kei­ten, sich dage­gen zu weh­ren, da dann das angeb­li­che „öffent­li­che Inter­es­se“ Vor­rang hat.
  • Eine wei­te­re Rege­lung ermög­licht die Zulas­sung des vor­zei­ti­gen Bau­be­ginns. Ein Wider­spruch oder eine Anfech­tungs­kla­ge gegen die Zulas­sung des vor­zei­ti­gen Bau­be­ginns haben kei­ne auf­schie­ben­de Wirkung.
  • Ein wich­ti­ger Ver­fah­rens­schritt, die Bun­des­fach­pla­nung, kann bei einem „Neu­bau in bestehen­der Tras­se“ ent­fal­len. Da alte Lei­tun­gen heu­te noch häu­fig über Wohn­ge­bie­te gehen, wäre die­se Pla­nungs­pha­se wich­tig um Abstands­re­ge­lun­gen zu berücksichtigen.
  • Die­ser „Neu­bau in bestehen­der Tras­se“ wird neu defi­niert. Als Ersatz­neu­bau gilt, wenn eine bestehen­de Lei­tung neue beseilt wird und dabei der Ver­lauf unver­än­dert bleibt und die alten Fun­da­men­te ver­wen­det wer­den. Bei einem Par­al­lel­neu­bau wird in einem Abstand von maxi­mal 200 Metern eine neue Tras­se errich­tet und nach Inbe­trieb­nah­me die alte abge­baut. Die­ser Ansatz ist nicht rea­lis­tisch, wenn man die offi­zi­el­le Abstand­re­ge­lung zur Wohn­be­bau­ung ein­hal­ten will.
  • Bei nach­träg­li­chen Ände­run­gen (der Umfang ist nicht defi­niert) kann eine ver­ein­fach­te Bun­des­fach­pla­nung geneh­migt werden.
  • Im Gesetz wird auch eine enge­re kon­struk­ti­ve Zusam­men­ar­beit von Bund und Län­dern fest­ge­schrie­ben, was immer man sich dar­un­ter vor­stel­len mag.
  • Der Netz­ent­wick­lungs­plan sieht im Abstand von fünf Jah­ren bereits eine Ver­dop­pe­lung der Lei­tungs­ka­pa­zi­tät vor. Des­halb soll jetzt bei Erd­ver­ka­be­lun­gen die Ver­le­gung von Leer­roh­ren für zukünf­ti­ge Maß­nah­men erlaubt wer­den. Auch dies macht die Pro­jek­te zusätz­lich teurer.
  • Die Kon­sul­ta­ti­ons­frist für die betrof­fe­ne Öffent­lich­keit wird auf nur noch vier Wochen redu­ziert. Dazu wer­den alle Unter­la­gen im Inter­net zur Ver­fü­gung gestellt.
  • Eine Ver­än­de­rungs­sper­re ergeht als All­ge­mein­ver­fü­gung. Dies bedeu­tet wohl, dass z. B. Kom­mu­nen ab Pla­nungs­be­ginn nicht mehr über die betrof­fe­nen Flä­chen (z. B. Aus­weis von Bau­ge­bie­ten) ver­fü­gen können.
  • Die Ein­spei­se­ver­gü­tung für neue Solar­an­la­gen wird kurz­fris­tig ab 2019 um ca. 20 Pro­zent ver­rin­gert. Für zahl­rei­che geplan­te oder im Bau befind­li­che Pro­jek­te, sowie für soge­nann­te Mie­ter­strom­mo­del­le bedeu­tet das das Aus.
  • Die Bun­des­netz­agen­tur finan­ziert sich offen­bar auch über Gebüh­ren der Netz­be­trei­ber, die dann über das Netz­ent­gelt an die Strom­ver­brau­cher wei­ter­ge­ge­ben wer­den. Im Zusam­men­hang mit der geplan­ten Beschleu­ni­gung und Kos­ten­ver­rin­ge­rung redu­zie­ren sich die­se Bei­trä­ge bei Neu­bau­ten von 30.000 € auf 10.000 €, bzw. bei Auf­rüs­tun­gen von 10.000 auf 5.000 € pro ange­fan­ge­nen Kilometer.

Wel­che Aus­wir­kun­gen haben die­se Maß­nah­men, die jetzt mas­siv durch­setzt werden?

Ursprüng­lich soll­ten die gro­ßen Gleich­strom­tras­sen von Nord nach Süd mit der Abschal­tung der letz­ten Kern­kraft­wer­ke 2022 in Betrieb gehen. Inzwi­schen spricht man von einer Fer­tig­stel­lung im Jahr 2028. Mit den jetzt durch­ge­zo­ge­nen Geset­zes­än­de­run­gen haben die Tras­sen­bau­er die Mög­lich­keit die Auf­rüs­tung bereits bestehen­der Tras­sen vor­zu­zie­hen und schnel­ler zu rea­li­sie­ren. In unse­rer Regi­on sind davon die Vor­ha­ben P44mod und P53 betroffen.

Dem Aus­bau der Erneu­er­ba­ren wer­den wei­te­re Stei­ne in den Weg gelegt. Das bedeu­tet, die Ener­gie­wen­de wird noch mehr aus­ge­bremst und im Gegen­zug die Kli­ma­er­wär­mung beschleunigt.

Die mit dem über­di­men­sio­nier­ten Tras­sen­bau ver­bun­de­nen Risi­ken errei­chen uns noch schnel­ler. Dazu gehö­ren gesund­heit­li­che Schä­den für die Anrai­ner, wei­te­re Anhe­bun­gen der Strom­kos­ten, die Ent­wer­tung von Grund­stü­cken und Immo­bi­li­en im Tras­sen­ver­lauf, aber auch die Zer­stö­rung von Natur und Landschaft.

Die neu­tra­le Fach­welt weiß, wir brau­chen kei­ne neu­en Höchst­span­nungstras­sen durch Deutsch­land! Über 90 Pro­zent der Erneu­er­ba­ren Ener­gien wer­den in das Ver­teil­netz und nicht in das Über­tra­gungs­netz ein­ge­speist. Die Ener­gie­wen­de fin­det dezen­tral und regio­nal statt!

ol / BI Lein­burg / 7.12.2018

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