Die EU, die Aar­hus Kon­ven­ti­on und die Stromtrassen

Was steckt hin­ter den grün ange­stri­che­nen HGÜs, die ganz über­wie­gend Braun­koh­le- Stein­koh­le- und Atom­strom quer durch Deutsch­land und auch Euro­pa trans­por­tie­ren wer­den? Sie wer­den oft das Rück­grat der Ener­gie­wen­de genannt. Dabei wur­den sie schon geplant, als der Aus­stieg aus dem Atom­aus­stieg in vol­lem Gan­ge war, näm­lich 2010.

Wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­che Insti­tu­te mit ihren Stra­te­gie­ex­per­ten, finan­ziert durch die gro­ßen Ener­gie­ver­sor­ger, ver­hal­fen damals der Atom­tech­no­lo­gie zu neu­er Akzep­tanz bei den poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern. Alle Strom­kon­zer­ne hat­ten ein Kon­tin­gent an AKW, mit dem sich gut Geld ver­die­nen ließ, und das soll­te auch so blei­ben, ohne läs­ti­ge Ände­run­gen, wie dem Umstieg auf Erneu­er­ba­re. Mit die­sem Geld wur­den auch die Lehr­stüh­le der Insti­tuts­lei­ter gespon­sert, wie z. B. beim EWI, Prof. Bett­zü­ge, in Köln durch EON und RWE.

Dann kam Fuku­shi­ma und alles wur­de anders.

Es war kurz vor den Land­tags­wah­len in Ba-Wü und RL‑P, also muss­te man sich was ein­fal­len las­sen, die Ener­gie­wen­de muss­te her. Die bereits geplan­ten Strom­lei­tun­gen konn­te man PR-mäßig umwid­men. Sie konn­ten als Bestand­teil der Ener­gie­wen­de dar­ge­stellt wer­den, die den angeb­lich über­schüs­si­gen Wind­strom aus dem Nor­den in den ver­brauchs­in­ten­si­ven Süden transportieren.

Den Ärger mit den Bür­gern wie bei Stutt­gart 21 woll­te man bei die­sem Pro­jekt aber ver­mei­den, neue Geset­ze soll­ten das rich­ten. Also wur­de unter ande­rem das Netz­aus­bau­be­schleu­ni­gungs­ge­setz (NABEG) ver­ab­schie­det, das den übli­chen Pla­nungs­weg enorm abkürzt und die Ein­spruchs­mög­lich­kei­ten stark redu­ziert. Netz­ent­wick­lungs­plä­ne als Grund­la­ge des Aus­bau­be­darfs wur­den auf­ge­legt, meh­re­re Hun­dert Sei­ten stark. Zu die­sen Plä­nen konn­ten die Bür­ger Stel­lung neh­men, jedoch völ­lig unver­bind­lich. Die Plä­ne wur­den von den Über­tra­gungs­netz­be­trei­bern (ÜNB) erstellt und fast voll­stän­dig durch die Bun­des­netz­agen­tur genehmigt.

Inter­es­sant, den ÜNB als Nutz­nie­ßern des Aus­baus, wink­ten sat­te 9,05% Garan­tie­ren­di­te auf das dort ein­ge­setz­te Eigenkapital.

Mit­wir­kungs­rech­te der Bür­ger? Fehl­an­zei­ge, allei­ne schon des­halb, weil die wenigs­ten die­se Kon­sul­ta­tio­nen kann­ten. Und wer es wuss­te, scheu­te vor den dicken Packen zurück.

Dann, als durch die ver­öf­fent­lich­ten Tras­sen­ver­läu­fe die Dimen­sio­nen des Pro­jekts publik wur­den, erkann­ten Vie­le, was auf sie zukam und hin­ter­frag­ten die Pla­nun­gen. Man erkann­te die wah­ren Grün­de, Bür­ger­initia­ti­ven schos­sen wie Pil­ze aus dem Boden und der Wider­stand wuchs täg­lich. Im Wider­stand arbei­te­te man diver­se Fel­der ab, mit mäßi­gem Erfolg. Plötz­lich wur­de aber bekannt, dass es eine Lösung geben kann, unab­hän­gig von Poli­ti­kern, die den Bür­gern unge­ahn­te Mög­lich­kei­ten eröff­net, wie ver­bind­li­che Mit­spra­che bei Umweltvorhaben.

Das ist die Aar­hus Kon­ven­ti­on, deren Umset­zung im oben beschrie­be­nen Geset­zes­ma­ra­thon fehlt. 

Die Kon­ven­ti­on ermög­licht den Bür­gern in Umwelt­vor­ha­ben euro­pa­weit Zugang zu Infor­ma­tio­nen und zu Gerich­ten bereits „ wenn alle Optio­nen offen sind“, ech­te Betei­li­gung und Mit­be­stim­mung also. Sie ist in Deutsch­land seit 2007 gül­tig, Sig­mar Gabri­el hat sie als Umwelt­mi­nis­ter unter­schrie­ben. In die EU-Direk­ti­ve zur Stra­te­gi­schen Umwelt­prü­fung (SUP-Direk­ti­ve) ist sie ein­ge­ar­bei­tet, jedoch feh­ler­haft. Die­ser Feh­ler über­trägt sich des­halb auto­ma­tisch auf die deut­sche Gesetz­ge­bung zum The­ma, es fehlt der Zugang der Bür­ger zu Gerich­ten, „wenn alle Optio­nen offen sind“.

Geklagt wer­den kann der­zeit nur ganz zum Schluss gegen das gesam­te Pro­jekt „Strom­tras­sen“ im Netzentwicklungsplan.

Nun fragt man sich, wie die­ser Feh­ler pas­sie­ren konn­te. Bei den invol­vier­ten Behör­den, den deut­schen und euro­päi­schen Par­la­men­ten und Regie­run­gen sit­zen doch her­vor­ra­gen­de Juris­ten. Die arbei­ten doch fast täg­lich wich­ti­ge Abkom­men und Geset­ze aus. War­um die­ses Versäumnis?

Oder ist die­se Kon­ven­ti­on gar nicht so weit­rei­chend, wie behaup­tet wird? Steht sie viel­leicht gar nicht über dem EU- oder dem natio­na­len Recht?

Das ist es nicht – sie steht über deut­schem und euro­päi­schem Recht, denn sie hat völ­ker­recht­li­chen Status.

Als 1998 die Kon­ven­ti­on fer­tig ver­han­delt war, reis­te Umwelt­mi­nis­te­rin Ange­la Mer­kel von Aar­hus ab, ohne die Kon­ven­ti­on zu unter­schrei­ben. War­um das? Und war­um wur­de Aar­hus zwi­schen­zeit­lich so kon­se­quent „ver­ges­sen“ oder bes­ser gesagt, igno­riert? Das sowohl von Ange­la Mer­kel als auch Sig­mar Gabriel.

Was pass­te den Poli­ti­kern nicht? 

Die Kon­ven­ti­on soll die demo­kra­ti­sche, ver­bind­li­che Mit­wir­kung der Bevöl­ke­rung bei Ein­grif­fen in die Umwelt gewähr­leis­ten. Sie soll die Bür­ger moti­vie­ren, Anteil an der Bewah­rung der Lebens­grund­la­gen zu neh­men und sich der Kon­se­quen­zen bewusst zu sein, die mit sol­chen Ein­grif­fen ein­her­ge­hen. Die Bür­ger sol­len die Reiß­lei­ne zie­hen kön­nen, wenn die Ein­grif­fe zu gra­vie­rend sind. 

Sahen die Poli­ti­ker und die Wirt­schaft ihre Befug­nis­se beschnitten? 

Anschei­nend ja, es gibt weit­rei­chen­de Ver­flech­tun­gen und Ein­fluss­nah­men zwi­schen Poli­tik und Wirt­schaft, sie­he Aus­zug aus dem Pro­to­koll des Aus­schus­ses für Wirt­schaft und Tech­no­lo­gie, 48. Sit­zung 27.06.2011.

…Sach­ver­stän­di­ge Dr. Yvonne Saß­nick, (50 Hertz Trans­mis­si­on GmbH): Ich kann das, was Herr Ahmels gesagt hat, nicht ste­hen las­sen. Wir sehen schon die Gefahr, dass die Nut­zung des erwei­ter­ten, voll­um­fäng­li­chen Kla­ge­rechts der Umwelt­ver­bän­de – es geht nicht um das nor­ma­le Ver­fah­ren, an dem alle Umwelt­ver­bän­de betei­ligt sind – eine Brems­wir­kung zur Fol­ge hat, wodurch die erziel­te Beschleu­ni­gung aus­ge­he­belt wird. Wir wür­den es schon begrü­ßen, wenn der Kla­ge­weg im NABEG in Anleh­nung an das Ener­gie­wirt­schafts­ge­setz, wie vor­hin schon ein­mal ange­spro­chen, auf eine Instanz – den Weg bis zum Ver­wal­tungs­rich­ter – ver­kürzt würde.……”

 Wie von 50 Hertz GmbH gewünscht, kam genau die­se Rege­lung ins Gesetz: nur eine Instanz für die Kla­ge gegen das Projekt.

Jetzt läu­ten die Alarm­glo­cken, denn die­se für bei­de Sei­ten sehr zufrie­den­stel­lend ver­lau­fen­de Koope­ra­ti­on kann nun durch eine schnö­de, völ­ker­recht­li­che Abma­chung emp­find­lich gestört wer­den. An der Kon­ven­ti­on haben sowie­so zu vie­le Umwelt- und Natur­schüt­zer mit­ge­wirkt, die wür­den jetzt die gan­zen schö­nen, pro­fi­ta­blen Pro­jek­te kaputt machen.

Was erdreis­ten sich die Bür­ger?- For­dern ein Recht ein, das ihnen zusteht, soweit kommt´s.

Gerüch­ten zufol­ge gibt es jetzt sogar eine wei­te­re die­ser läs­ti­gen Bür­ger­initia­ti­ven – die Aar­hus-Kon­ven­ti­on-Initia­ti­ve (www.aarhus-konvention-initiative.de).Sie will die Rech­te der Bür­ger nach Aar­hus ein­kla­gen, und das an höchs­ter Stel­le, dem Aar­hus Komi­tee. Geht die Kla­ge dort durch – und die Chan­cen ste­hen nicht schlecht- dann bedeu­tet das den Super-GAU für alle Netz­aus­bau­plä­ne und ande­re gewinn­brin­gen­de Vor­ha­ben wie Frack­ing, und das europaweit.

Das kal­te Grau­sen kommt den Ent­schei­dungs­trä­gern, und die Netz­wer­ke zwi­schen Wirt­schaft, Uni­ver­si­tä­ten und Poli­ti­kern, natio­na­len und euro­päi­schen Insti­tu­tio­nen, mit ihren Top-Juris­ten wer­den akti­viert, ich höre sie schon rat­tern und tak­tie­ren und befürch­ten: „Wie kann man die­se Initia­ti­ve brem­sen? Was haben die noch vor? Sind viel­leicht auch unse­re schö­nen Frei­han­dels­ab­kom­men gefährdet?“

 

 

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